Stretching The Limits: Die Power auxetischer Materialien

Streck, lass nach!
Ein bisschen war es, als wäre ein Alien gelandet. In eine Klasse für darstellende Geometrie am Gymnasium Lienz brachte jemand ein Objekt mit, das prickelnd anders war. Das Material verhielt sich kontraintuitiv: Wenn die Schülerin es streckte, wurde es nicht dünner, wie zu erwarten gewesen wäre, sondern dehnte sich auch quer zur Streckrichtung aus. „Auxetisch!“, erklärte der Lehrer, und für die Anwesenden war es ebenso wie für die meisten Leser*innen dieser Zeilen das erste Mal, dass sie mit diesem Wort in Berührung kamen.

Auch die Begeisterung der DG-Klasse für die Entdeckung expandierte sofort in alle Richtungen. Obwohl schon 1888 ein Physiker eine negative Poissonzahl veröffentlichte – die eben dieses Verhalten beschreibt –, wurden auxetische Materialien erst knapp hundert Jahre später wissenschaftlich als solche beschrieben. Der dünnen Forschungslage beschlossen Klara Duong, Moritz Engl, Sophie Gailer, Teresa Neumayr, Marie Pichler und Paul Unterluggauer ein paar eigene Erkenntnisse hinzuzufügen. 

Das Ergebnis ist eine Reihe von analogen und digitalen Konstruktionen verschiedener auxetischer Strukturen. In 3D gedruckt wurden sie freilich weder mit hochverstrecktem Teflon noch mit der Haut von Kuhzitzen (beides Beispiele für auxetische Materialien), sondern mit umweltfreundlichem und leicht per Lasercutter zurechtschneidbarem Polylactid. Die Funktionsweise der Wunderdinger – vereinfacht ausgedrückt: eine hebelmechanische Reaktion zwischen den beiden verschiedenen Grundstoffen, aus denen sie bestehen – lässt sich auf diese Weise gut veranschaulichen. 

Digital wurde mit Animationen experimentiert (wobei unter anderem ein auxetisches Logo für Jugend Innovativ entstand). Was man mit dieser Superkraft alles anstellen kann! In der Architektur zum Beispiel. Oder für ein gewölbtes Sonnenschirmgerüst. Die Alien-Invasion, sie ist nur eine Frage Zeit.

Fotocredit: © aws, VOGUS / Wolfgang Voglhuber